„Gerne mehr Holland und weniger Deutschland“ sagt Herr Bröckelmann und Frau Dosch schließt sich an: „Ich bin schon ziemlich holländisch unterwegs, immer zugunsten der Sache und der SchülerInnen.“ Was ist gemeint und was hat Holland mit dem Studientag der HBG-LehrerInnen zu tun, der am 1.2.23 von 8 bis 16 Uhr stattfand?
Mit zwei Trainern (Herrn Heinrich und Herrn Steen) und in zwei Gruppen in zwei großen Sälen hat sich das HBG-Kollegium der Aufgabe gewidmet, die beiden Lions Quest-Programme „Erwachsen werden“ und „Erwachsen handeln“ gemeinsam auf den Weg zu bringen. Finanziell ermöglicht wurde der Studientag durch gleich mehrere Lions Clubs, die unter der Federführung von Herrn Dingler die Umsetzung der life-skills-Programme am HBG seit mehr als 2 Jahrzehnten unterstützen. Von schulischer Seite aus wurde die Fortbildung für das Gesamtkollegium von Frau Dr. Schallenberg und Frau Klein organisiert. Für die einen war es ein kurzweiliger Refresher-Kurs, da sie insbesondere als KlassenlehrerInnen mit „Erwachsen werden“ bereits bestens vertraut sind. Für die anderen war das Kennenlernen und Reflektieren beider Programme eine willkommene Gelegenheit, um in kleinen Gruppensituationen die eigenen KollegInnen von ganz neuen Seiten aus kennen und schätzen zu lernen.
Ein paar Eindrücke aus dem Refresherkurs, geleitet von Fré Steen, ehemaligem Förderschullehrer und Schulleiter in den Niederlanden, der seit 1992 zertifizierter Trainer für Lions Quest-Programme ist und bundesweit LehrerInnen ausbildet:
Ausgehend von der Fragestellung, welche Zutaten wir für eine positive, produktive Zusammenarbeit in einer Klasse, also für eine sichere Lernatmosphäre, benötigen, haben wir uns gruppendynamische Strukturen und Prozesse nach Stanford in Erinnerung gerufen. Wir haben darüber nachgedacht, welches Bein des dreibeinigen Hockers des Selbstvertrauens, bestehend aus den Hockerbeinen Fähigkeiten, Anerkennung und Verantwortung jeder Mensch persönlich am einfachsten beeinflussen kann. Die Bedeutsamkeit unserer Anerkennungs- und Wertschätzungskultur am HBG haben wir anhand konkreter Praxisbeispiele in der Feedbackkultur („warme Dusche“) in unser Bewusstsein gerufen und gemeinsam Lösungen für so manche Problematik gefunden. In aktivierenden Energizern mit viel Eigendynamik und hohem Spaßfaktor konnten wir wieder SchülerInnen sein, bevor auf Metaebene der Sinn dieser oder jener Methode von allen Seiten kritisch durchleuchtet wurde. Welche tools, also z.B. welche Kriterien, Vorbilder und welche Transparenz braucht es, um ein möglichst realistisches Selbstbild zu entwickeln? Und wie können wir Risiken, sich konstruktiv zu verhalten, im Schulalltag minimieren, wo enden aber auch die Einfluss- und Handlungsmöglichkeiten von Lehrerseite aus? Fré Steen: „Die Zeit, die man dem Fachunterricht wegnimmt, gewinnt man an anderer Stelle wieder, wenn die Klassenatmosphäre stimmt. In Klassen mit einem guten Klassenklima lässt sich ganz hervorragend unterrichten. Wir sind als LehrerInnen Spezialisten und spüren beim Reinkommen der Klasse bereits, wie sie heute drauf sind. Davon hängt ab, wie ich starte. Mir ist es ein Anliegen, dass die SchülerInnen untereinander gut klar kommen.“
So weit, so gut. Nicht alles, was gut ist, ist einfach umzusetzen. Womit hängt es zusammen, dass im Moment noch nicht alle HBG-Klassen mit den Lebens- und Sozialkompetenzprogrammen und dem Thema Demokratieerziehung im Rahmen von „Erwachsen handeln“ in Kontakt kommen? Zum einen ist „Erwachsen handeln“ noch in der Erprobungsphase und es wird noch eine Zeit dauern, bis genügend LehrerInnen das dreitägige Vorbereitungsseminar durchlaufen und evaluiert haben. Zum anderen verändern sich Schulstrukturen, nicht erst seit Corona, mal mehr oder weniger dynamisch. Es ist in z.T. kleinen Klassenräumen eben nicht selbstverständlich, in kurzer Zeit einen Stuhlkreis oder Gruppentische zu stellen, sich bei Mutmachern und Energizern näher zu kommen, handschriftliche bunte Plakate anzufertigen oder lesbar auf Moderationskarten zu schreiben.
Zu den Herausforderungen, die eine Implementierung bei vollen Stundentafeln mit vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Klassenleiterstunden mit sich bringt, sagt der Trainer: „Die Schulen, die quer laufen, gewinnen Schulpreise. Früher hieß es vielleicht Regelverstoß, heute heißt es innovative Arbeit, wenn wir die Möglichkeit nutzen, Freiräume auszuloten und zu erkennen: alles ist machbar. Wenn wir unser Ziel gemeinsam vor Augen haben, werden wir auch flexibel genug sein, um die Freiheit im Interesse der SchülerInnen zu nutzen und uns selbst die Arbeit leichter zu machen.“
Frau Díaz resümiert den Fortbildungstag: „Ich bin sehr zufrieden mit dem Tag, denn es ist mir wieder bewusst geworden, wie wichtig das Thema ist. Wir wollen es gerne machen, auch wenn es Schwierigkeiten gibt (Zeit, Räume usw.).“ Und Frau Reichartz ergänzt: „Dinge, die einem selbst gut tun, lassen sich ohne viel Aufwand gut in den Unterricht integrieren.“ „Mir ist klar geworden, warum wir das tun, was wir tun“, heißt es auch. Insgesamt gehen die LehrerInnen des Refresherseminars hoffnungsvoll in die nächste Runde. Uns was hat das mit Holland zu tun? Wer aufmerksam gelesen hat, dem ist aufgefallen, dass der Trainer Fré Steen Niederländer ist. Herr Bröckelmann hat das Motto des Fortbildungstages geprägt: „Ich hab draus gelernt, dass ich mir mehr Holland und weniger Deutschland wünsche. Mehr zu schauen, was tut mir gut und was meiner Klasse.“ Oder, um mit den Worten von Frau Borchardt, die das Seminar bei Herrn Heinrich besucht hat, zu sprechen: „Einfach machen“.
Kirsten Ritter